Welttag des Sehens – Farbenblindheit und Rot-Grün-Schwäche
Rot, Grün, Grau? – Leben mit Rot-Grün-Schwäche und Farbenblindheit
Von Lydia Schmölzl
Der Herbst ist voller Farben – insbesondere Rot-, Orange-, Gelb- und Grüntöne dominieren die Welt um uns herum. Das gilt aber nicht für alle Menschen. Personen mit einer Rot-Grün-Schwäche oder Farbenblindheit nehmen Farben anders (oder gar nicht) wahr. Wir erklären, was das bedeutet und warum Rot-Grün-Schwächen und Farbenblindheit nicht ein- und dasselbe sind.
Der zweite Donnerstag im Oktober ist Welttag des Sehens; in diesem Jahr also der 14. Oktober. Ins Leben gerufen wurde der Aktionstag von der Weltgesundheitsorganisation, um auf das weltweite Programm „ Vision 2020 – das Recht auf Augenlicht “ aufmerksam zu machen. Mehr über die wichtige Arbeit von Vision 2020 erfahren Sie in diesem barrierefreien PDF .
In diesem Artikel beschäftigen wir uns mit einer Sonderform der Blindheit, nämlich der Farbenblindheit und anderen Sehbeeinträchtigungen im Zusammenhang mit der Farbwahrnehmung, beispielsweise der sogenannten Rot-Grün-Schwäche.
Rot-Grün-Schwäche gleich Farbenblindheit?
Wer Rot und Grün nicht voneinander unterscheiden kann, ist farbenblind, oder? Auch wenn die beiden Begriffe oft synonym verwendet werden, ist das nicht ganz richtig. Denn eine Schwäche ist keine Blindheit. Eine Farbenblindheit, auch Achromatopsie oder Achromasie genannt, ist genau das, was der Name besagt: die Person kann keinerlei Farben wahrnehmen, sondern lediglich Helligkeitskontraste unterscheiden. Eine etwas mildere Form ist die partielle Farbblindheit, bei der beispielweise nur die Farbe Grün nicht erkannt wird. Eine Achromatopsie kann angeboren sein (eine Störung der Netzhaut) oder erworben werden (durch neurologische Störungen, beispielweise nach einem Schlaganfall). Je nachdem, welche Art vorliegt, fehlen entweder die Zapfen im Gelben Fleck des Auges, die für die Farbwahrnehmung zuständig sind, oder aber das Gehirn kann die aufgenommenen Farbinformationen einfach nicht mehr richtig verarbeiten und zuordnen.
Und hier liegt auch der körperliche Unterschied zu einer Farbsinnschwäche. Denn bei dieser sind die Zapfen im Auge meistens vorhanden, funktionieren nur nicht richtig. Auch der Begriff Rot-Grün-Schwäche an sich ist irreführend, denn entweder hat jemand eine Sehschwäche für Rot (Protanomalie) oder für Grün (Deuteranomalie). Der kombinierte Begriff rührt daher, dass die Auswirkungen beider Farbsinnstörungen darin bestehen, dass die Farbe, für die eine Schwäche besteht, nur noch schlecht von der anderen unterschieden werden kann. Für jemanden mit einer Rotschwäche sieht Rot also beispielweise dem Grün äußerst ähnlich. Manchmal können betroffene Menschen sehr satte Farben oder große Farbflächen, für die sie eigentlich eine Schwäche haben, dennoch wahrnehmen.
Wie wird eine Farbenblindheit oder Farbsinnstörung erkannt und diagnostiziert?
Auch hier unterscheidet sich die Schwäche deutlich von der Farbblindheit. Eine Achromatopsie (also die Farbenblindheit) geht mit verminderter Sehkraft und Lichtempfindlichkeit einher und wird daher meistens schon im frühen Kindesalter diagnostiziert. Etwas anders ist es bei der Farbschwäche, die oft erst spät erkannt wird, da betroffene Menschen im Alltag gut zurechtkommen. Sie können Farben beispielweise auch aufgrund ihrer Helligkeit zuordnen. Und, da Farbsinnstörungen angeboren sind: Etwas, das man nie anders gekannt hat, kommt einem auch nicht seltsam vor. Es soll sogar Augenärzt*innen geben, die ihre eigene Farbsinnschwäche erst durch die Arbeit mit Patient*innen erkannt haben.
Übrigens sind Männer wesentlich häufiger von der Rot-Grün-Schwäche betroffen als Frauen. Circa 8 Prozent der männlichen, aber nur 0,5 Prozent der weiblichen Weltbevölkerung hat Schwierigkeiten mit der
Farbwahrnehmung. Das liegt am X-chromosomal-rezessiven Erbgang, über den die Schwäche weitergegeben wird. Das bedeutet, dass Frauen mit ihrem zweiten X-Chromosom die mögliche Farbschwäche ausgleichen können – Männer hingegen mit ihrem X- und Y-Chromosom nicht.
Ein relativ einfacher Selbsttest ist mit den sogenannten Ishihara-Bildern möglich. Auf Farbtafeln werden Kreise in verschiedenen Farben abgebildet, die unterschiedliche Kontraste, aber dieselbe Helligkeit haben. Menschen mit intaktem Farbsehen erkennen Zahlen oder Buchstaben (für Kinder wird mit Tieren o.ä. gearbeitet), während Menschen mit einer Farbsinnstörung keine oder nicht die richtigen Symbole ablesen können. Wir haben zwei Ishihara-Tafeln für Sie angelegt. Erkennen Sie, was darauf abgebildet ist?
Achtung: Dieser Test gibt nur einen ersten Hinweis. Um eine gesicherte Diagnose stellen zu können, ist der Besuch beim Augenarzt unbedingt notwendig.
Alltag mit einer Farbsinnstörung
Jetzt kennen wir die Hintergründe und Ursachen einer Farbschwäche oder -blindheit. Aber wie lebt es sich damit? Gibt es Stolperfallen und was können wir tun, um unsere Welt für Menschen mit einer Farbsinnstörung barrierefreier zu machen? Ein Alltagsbeispiel, das den meisten Menschen in den Sinn kommt, ist unser Ampelsystem: Rot, Gelb, Grün. Ist das für betroffene Menschen nicht schwierig? Teilweise. Es kommt zunächst darauf an, wie stark die Schwäche ausgeprägt ist.
„Mit dem Ampelsystem hatte ich eigentlich nie Probleme. Ich kann es natürlich nicht mit Sicherheit sagen, aber ich denke, dass die Signale für mich so aussehen wie für jemanden mit regulärer Farbwahrnehmung. Bei mir ist es auch nicht so, dass ich die Farben gar nicht unterscheiden kann, ich sehe nur keine Kontraste zwischen Rot und Grün, wenn beide eng beieinanderliegen“, sagt Tobias Dylka, der mit einer Grünschwäche lebt.
Zusätzlich ist es möglich, sich an der Anordnung der Lichter zu orientieren: Rotes Ampellicht befindet sich immer oben, Gelb in der Mitte und Grünes Licht ist unten. Dennoch kann im Straßenverkehr vor allem die Rotschwäche oder -blindheit gefährlich werden, da betroffene Personen eine rote Ampel bei Dunkelheit erst aus der Nähe als solche erkennen können. Bei einer grünen Ampel sind die Folgen meist nicht so verheerend, selbst wenn sie mal übersehen wird. Problematisch ist die Rotschwäche auch in Bezug auf Bremslichter, die nachts schwächer oder im schlimmsten Fall gar nicht wahrgenommen werden.
Ein weniger prominentes Beispiel, das nicht lebensgefährlich, aber unheimlich lästig ist, findet sich im Lern-, Uni- und Schulalltag. Viele Atlanten arbeiten in ihren Karten mit Farbkennzeichnungen, um bestimmte geographische Gebiete oder Besonderheiten hervorzuheben. Nicht selten sind das Abstufungen von Grün oder Rot – mit der passenden Legende unten in der Ecke. Das stellt Menschen mit einer Farbsehschwäche vor eine fast unlösbare Aufgabe. Nicht nur haben sie Schwierigkeiten, die direkt nebeneinanderliegenden Flächen zu unterscheiden, sie müssen diese feinen Nuancen auch noch der Legende zuordnen, die räumlich getrennt außerhalb der Karte liegt. Ein ähnliches Problem sind rote Textmarkierungen. Das Geschriebene soll besonders hervorgehoben werden, wirkt für Menschen mit einer Rotschwäche aber wie ein blasses Grau und wird somit oft überlesen.
Menschen mit einer Farbsinnstörung oder Farbenblindheit können in vielen Bereichen ein uneingeschränktes Leben führen, sowohl, was den Alltag als auch die Berufswahl angeht. Tobias ist beispielweise Grafikdesigner. Das klingt zunächst nach einer ungewöhnlichen Berufswahl, er sagt aber selbst, dass ihn seine Farbschwäche im Arbeitsalltag auch befähigt: „Natürlich habe ich schon mal mit Farbflächen gearbeitet, die für mich gut aussahen, die aber wohl einen sehr schrägen Farbkontrast erzeugt haben, den ich nicht gesehen habe. Andersherum habe ich aber auch schon Kollegen darauf aufmerksam gemacht, dass ihre Sachen nicht barrierefrei sind. Zum Beispiel weil sie rote Schrift auf grünen Untergrund gesetzt haben, die ich nicht lesen konnte.“
Manche Berufe kommen dennoch für Menschen, die eine Farbsinnschwäche habe, nicht in Frage: Etwa bei Polizist*innen, Pilot*innen oder Lokführer*nnen. Dabei zeigen Menschen wie Tobias, dass eine Benachteiligung nur aufgrund ihrer Farbsinnschwäche, oft nicht gerechtfertigt ist. So könnte strukturell sicherlich noch Einiges getan werden, um Menschen mit einer Farbschwäche oder -blindheit entgegenzukommen. Da sie sich so gut anpassen und zurechtfinden, fallen die Details leider schnell unter den Tisch und eine individuelle Eignungsprüfung, findet selten statt. Vielleicht sollten wir alle gerade am Welttag des Sehens wieder einmal versuchen, unsere Welt auch durch die Augen anderer zu sehen.
Aktionen der LVR-Schulen
Im Rheinland ist der LVR Träger von fünf Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt "Sehen", die sehbehinderte, blinde oder schwerstbehinderter Kinder und Jugendliche unterrichten. Diese beteiligen sich regelmäßig an Aktionstagen, wie zum Beispiel dem Tag der Sehbehinderten im Juni. Mit einer "Poller-Strickaktion" der Aachener LVR-Johannes-Kepler-Schue wurden die für sehbehinderte Fußgänger*innen gefährlichen Hindernisse an vielen Stellen in Aachen kontrastreich bunt gestaltet. Der LVR ist außerdem zuständig für das Blindengeld und die Blindenhilfe.